Sie sind ein ideales Paar: Nathalie und Jean-Luc, die sich gegenseitig stets mit dem Kosewort „chouchou“ anreden und vor lauter Küsschen kaum noch Luft kriegen. Zwar geht die Wohnungsrenovierung (175 Quadratmeter Altbau in bester Pariser Innenstadtlage, wie sie stolz betonen) echt ins Geld, und die Vorbereitung der kurz bevorstehenden Hochzeit entwickelt sich zum Vollstress. Dennoch hat Jean-Luc seinen zufällig wieder getroffenen Ex-Kommilitonen Christophe samt Freundin Patricia spontan zum Abendessen eingeladen. Was für alle ein bisschen peinlich ist, weil sie sich im Grunde nichts zu sagen haben.
Der französische Autor Gilles Dyrek schickt in seiner 2003 mit Riesenerfolg in Paris uraufgeführten Komödie Venedig im Schnee das Quartett schön böse in eine dramatische Falle. Im Contra-Kreis-Theater führt dessen Leiter Horst Johanning Regie bei dem auf deutschsprachigen Bühnen sehr beliebten Stück. Das hübsche Baustellen-Ambiente liefert Bühnenbildner Tom Grasshof, die Kostüme Anja Saafan. Den IT-Spezialisten Jean-Luc in Cordjeans und mit Nerd-Dauerlächeln im Gesicht spielt TV- (Lindenstraße) und Filmstar (Manta Manta, Der bewegte Mann) Martin Armknecht wirklich reizend. Dass er nie die richtigen Utensilien findet, gehört zu den Running Gags der Inszenierung. Seine blonde Küchenfee Nathalie im feuerroten Kleid ist vielleicht nicht die Hellste, aber in der Verkörperung von Isabella Schmid ein totaler Schatz. Den ehrgeizigen Christophe spielt Stefan Gebelhoff herrlich komisch mit zunehmender Verzweiflung. Denn seine Patricia hat ihm auf dem Weg zum Diner mit den wildfremden Menschen schon eine Szene gemacht und schweigt nun beharrlich.
Birthe Wolther gibt die blitzgescheite junge Frau, die ihrem Lover einen unvergesslichen Abend verspricht. Ihre störrische Small-Talk-Verweigerung angesichts der enervierend turtelnden Gastgeber bringt diese auf die Idee, sie sei eine Ausländerin. Also erfindet sie Chouvenien inkl. einem Balkan-Idiom, das sie deutlich flüssiger beherrscht als die paar Airport-Englisch-Brocken, mit denen die „Chouchous“ sich brüsten. Die wissen natürlich, dass da unten „was mit Ethnien“ war und legen sich zum Schrecken von Christophe massiv ins Zeug, um dem von Armut und Gewalt gebeutelten Heimatland seiner vermutlich illegal eingewanderten Freundin zu helfen. Eine warme Decke wäre sicher gut, mit der kaputten Kuckucksuhr würde die deutsche Leitkultur sogar in Chouvenien präsent, der alte Fernseher wird ohnehin bald durch einen tollen Flachbildschirm ersetzt, und Mamas alten Perserteppich braucht man ebenso wenig wie die CD des polnischen Schwarzarbeiters, die zu einem munteren Tänzchen führt.
Spießer-Sperrmüll für die Flüchtlinge, während zwischen Käse und Dessert die Chouvenierin zur titelgebenden Venedig-Schneekugel greift. Ein Sonderangebot von „Miniprix“, mit dem Jean-Luc kürzlich Nathalies Herz erwärmte. Da wird’s verdammt kalt in den grotesk überhitzten Beziehungskisten. Mit köstlich pointierten Sprachspielen ohne Moralkeule auf den Boulevard gebracht. Aber dennoch ein Spaß, der die aktuelle Situation geistreich kommentiert. Großer Beifall für die animierten Schauspieler und das Inszenierungsteam.
Kultur, Magazin der Theatergemeinde Bonn Nr. 121, Dezember 2015
von Elisabeth Einecke-Klövekorn